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Gamification als Designprozess

Jörg Niesenhaus
17. Juli 2013

„Game-Based Learning“, „Serious Games“,„Games with a Purpose“ und „Gamification“– die Liste der Konzepte mit denen sich die Erwartung verbindet das Potenzial der Spiele auch in anderen Anwendungskontexten zu nutzen ist lang. Alle Konzepte eint die Idee mit Spielen, ihren Technologien oder Mechanismen Mehrwerte zu erzielen, die über den reinen Unterhaltungszweck hinausgehen. Doch längst nicht alle Erwartungen werden erfüllt, die durch die Konzepte geweckt werden. Viele Projekte scheitern an der Unvereinbarkeit von Spiel und seriöser Anwendung und oft zeigt sich, dass der Aufwand diese Vereinigung einzugehen so hoch ist, dass er sich wirtschaftlich nicht lohnt.

Dennoch gab es in den vergangenen Jahren immer wieder herausragende Beispiele, die das vermutete Potenzial bestätigen: Das Serious Game „Re-Mission“, welches krebskranke Kinder während ihrer Behandlung durch Steigerung der Motivation und der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit unterstützt und damit nachweisbar die Akzeptanz der Behandlung und dadurch auch die Lebenserwartung steigert. Das Spiel „PeaceMaker“, welches auf den realen Geschehnissen des Palästina-Konflikts aufbaut und dem Spieler die Möglichkeit gibt den Konflikt aus beiden Seiten zu erleben. Das Puzzlespiel „Fold-it“, in dem die Spieler komplexe medizinische Herausforderungen meistern, an denen Hochleistungsrechner scheitern und von denen u.a. die Krebs- und HIV-Forschung profitiert.

Das Konzept „Gamification“

Hinter dem Begriff „Gamification“ verbirgt sich kein grundsätzlich neues Konzept. Gamification beschreibt die Integration von Spielelementen und –mechanismen in einen spielfremden Kontext und greift viele Gedanken aus den zuvor genannten Bereichen auf. Gamification konzentriert sich auf die Optimierung der Benutzermotivation, der Kundenbindung, der Steigerung des Return on Investment (ROI) oder der Verbesserung der Datenqualität oder eines Lernerfolgs (Wikipedia).

Der Begriff Gamification suggeriert eine einfache Integration von Spielelementen in spielfremde Anwendungen. Leider wird Gamification auch häufig auf diese Art und Weise interpretiert und angewandt: Einem fertigen Produkt oder einem bestehenden Prozess werden nachträglich Punktelisten, Highscore-Tabellen oder Badges (virtuelle Auszeichnungen) hinzugefügt. Doch es zeigt sich in vielen Anwendungen, dass ein einfaches Hinzufügen dieser Spielelemente nicht das durch Gamification erhoffte Potenzial entfaltet.

Tatsächlich gibt es zahlreiche Dienstleister, die sich auf die oberflächliche Anreicherung von Systemen durch das Vergeben von Punkten, Badges und Highscore-Listen konzentrieren. Diese sehr einfache und kostengünstige Integration der Spielelemente steht in der Kritik, weil sie häufig nicht dem Prozess oder dem Anwendungskontext gerecht wird, weil keine oder nur geringe Aufwände unternommen werden, um vor der Integration die Anforderungen der Nutzer, Prozesse oder des Anwendungskontextes zu ermitteln. Dadurch wirken die Spielelemente in einigen Fällen wie Fremdkörper und sind dadurch zum Scheitern verurteilt. Das Marktforschungsunternehmen Gartner schätzt, dass über 80% aller Gamification-Integrationen sich nicht am Markt behaupten können, da sie nicht ausreichend an die Anforderungen angepasst wurden.

Dabei gibt es einige Gegenbeispiele, die das Potenzial von Gamification aufzeigen. Die Anwendung „Superbetter“ von der Game Designerin Jane McGonigal schafft Motivation für die Erledigung von Zielen durch die spielerische Einbindung von Freunden. Die mobile Anwendung „Zombies, Run“ nutzt ein interaktives Hörspiel, um Laufsportlern zusätzliche Motivation zu verschaffen und das Laufen spielerischer zu gestalten. Der Softwareriese Google nutzt ein Gamification-System bei der Fortbildung seines Sales-Personals und konnte damit das Verfahren überdurchschnittlich beschleunigen. Auch SAP nutzt spielerische Elemente, um die Beteiligung im eigenen Community-Network zu motivieren und zu belohnen.

Schaut man sich die erfolgreichen Beispiele genauer an, stellt man fest, dass die spielerischen Elemente bei der Entwicklung von Beginn an berücksichtigt wurden. Ähnlich wie Usability auch, ist Gamification also viel mehr ein Design-Prozess anstelle eines Produkts, welches sich nachträglich hinzufügen lässt. SAP selbst spricht beispielsweise von „game-design thinking“ und hebt dadurch die Bedeutung des Entwicklungsansatzes hervor.

Doch wie sieht der idealtypische Prozess zur Integration spielerischer Elemente aus?

Gamification als Designprozess

Vor der Definition des Ziels ist es sinnvoll, zunächst den bestehenden Prozess zu analysieren, Nutzer zu befragen und weitere Anforderungen des Anwendungskontextes zu ermitteln. Dabei helfen Methoden aus dem Bereich des Usability Engineerings, die in der Lage sind, zahlreiche Anforderungen zu erheben und damit den Grundstein für die Zieldefinition legen. Für den gesamten Entwicklungsprozess ist es von großer Bedeutung, zu Beginn ein klares Ziel für den Einsatz der spielerischen Elemente zu formulieren. Was sollen die spielerischen Elemente bewirken? Sollen sie die Kundenbindung stärken? Die Motivation der eigenen Mitarbeiter ankurbeln? Oder einen Prozess effizienter gestalten? Das Ziel sollte in Form eines klar formulierten und unmissverständlichen Mission Statements festgehalten werden, welches bei Bedarf immer wieder in Erinnerung gerufen werden kann.

Fast genauso wichtig wie das Ziel selbst ist die Möglichkeit der Erfolgsmessung. Wann und wie wurde das Ziel erreicht? Kann es in irgendeiner Form quantifiziert werden? Sinnvolle Methoden zur Überprüfung der Zielerreichung sind Umfragen unter Mitarbeitern oder Kunden, der Vorher-Nachher-Vergleich von Effizienzdaten oder die Analyse der Datenqualität.

Auch muss man sich von der Vorstellung trennen, dass jeder Prozess problemlos durch spielerische Elemente angereichert werden kann. In manchen Fällen lohnt es sich zu überlegen, ob nicht zunächst eine Umgestaltung des zugrundeliegenden Prozesses notwendig ist, um erfolgreich spielerische Elemente zu integrieren. Dies sollte unter Einbeziehung aller Stakeholder stattfinden, um die verschiedenen Perspektiven auf einen Prozess und die Implikationen der Integration spielerischer Elemente zu betrachten.

Im Entwicklungsprozess selbst sollten früh Prototypen zur Verfügung stehen, um die spielerischen Elemente im Einklang mit Prozessfunktionen untersuchen zu können. Die Erfahrungen aus der Entwicklung digitaler Spiele zeigen, dass es etwa von großer Bedeutung ist, möglichst früh die Spielmechaniken testen zu können. Dabei geht es nicht nur um einen rein funktionalen Test, sondern vor allem um die Frage, ob die Spielelemente im Zusammenhang funktionieren und den gewünschten Effekt erzielen.

Um die Implikationen von Spielelementen abzuschätzen, bedarf es geschulten Mitarbeitern. Da viele Firmen nicht über eigene Game Designer mit einem umfassenden Erfahrungsschatz im Spieldesign verfügen, ist es sinnvoll sich dieses Wissen extern einzukaufen. Gerade bei der Analyse der Prozesse und der Ideengenerierung für die Anreicherung dieser durch spielerische Elemente sollten Personen mit Erfahrungen im Spieldesign eingebunden werden, die im Idealfall auch über Kenntnisse im Bereich des Usability Engineerings oder Interaktionsdesigns verfügen, um die Spielmechaniken und die generelle User Experience in Balance zu bringen.

Zusammenfassung

Diese kurze Zusammenstellung von Empfehlungen für den Entwicklungsprozess verdeutlicht den Aufwand, der notwendig ist, um geeignete spielerische Elemente zu identifizieren und sie in Prozesse und Tätigkeiten zu integrieren. Die Einbindung von Spielelementen in Arbeitsprozesse ist kein einfaches Unterfangen: Bei der Konzeption und Integration sollte mit Sorgfalt vorgegangen werden, um nicht Gefahr zu laufen mit dem eigenen Gamification-Konzept zu scheitern. Richtig eingesetzt ist Gamification ein mächtiges Werkzeug, welches das Potenzial besitzt nicht nur Prozesse zu optimieren, sondern auch Mitarbeiter zu motivieren und Kunden zu binden.

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