Blog

WatchOut: Smartwatch trifft auf Industrie 4.0

Centigrade
29. Februar 2016

2015 war ein bedeutendes Jahr für Smartwatches, nicht zuletzt wegen des Release der Apple Watch im April und des auch damit verbundenen starken Anstiegs der Verkaufszahlen in dem Markt der Wearables (Quelle: IDC). Es ist deutlich zu erkennen, dass die smarten Uhren zumindest im Konsumentenbereich auf dem Vormarsch sind. Aber welchen Sinn sieht ein Benutzer in einer solchen Uhr bzw. in welchen Alltagssituationen kann er von ihr profitieren? Sind Smartwatches womöglich sogar noch besser im industriellen Kontext einsetzbar?smartwatches-lg-applewatch-pebble

Die doch noch relativ geringen Verkaufszahlen im Vergleich zu anderen Smart Devices (z.B. Smartphones oder Tablets) deuten darauf hin, dass die Endbenutzer sich selbst noch nicht ganz schlüssig über den Einsatzzweck sind. Der kleine Touchscreen und die damit eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten limitieren den Benutzer stark in der Verwendung und verhindern dadurch das Ersetzen des Smartphones. Deshalb ist es besonders wichtig, die Interaktion mit dem kleinen Gerät hinsichtlich der User Experience so optimal wie möglich zu gestalten und dadurch eine geeignete Verwendung überhaupt zu ermöglichen. Weiterhin muss die Smartwatch aber auch in einen sinnvollen Anwendungskontext gebracht werden.

Auf den ersten Blick überraschend: Einen besonders geeigneten Kontext könnte die smarte Uhr im industriellen Umfeld finden. Industrie 4.0 ist in einem Großteil der Unternehmen angekommen, und die zunehmende Vernetzung von Maschinen und Verwendung neuartiger Technologien bietet viele Möglichkeiten, den Produktionsprozess zu optimieren oder zu vereinfachen. Im Rahmen des Projektes WatchOut wollten wir das Potenzial erkunden, inwiefern eine Smartwatch genau in diesem Bereich sinnvollen Einsatz findet. Ziel war es, eine Anwendung zu entwickeln, die den Benutzer bei seiner Arbeit unterstützt anstatt ihn zu behindern, und die somit einen echten Mehrwert im industriellen Kontext darstellt.

Nichts geschieht ohne Grund

Als Medieninformatiker mit Leidenschaft für neue Technologien und Internet of Things war mir schnell klar, dass ich nicht lange warten kann, mich mit Smartwatches zu beschäftigen, um deren Möglichkeiten frühzeitig zu erkunden. Dementsprechend erfreut war ich, als ich im März letzten Jahres bei der Suche nach eine Stelle für mein Praxissemester auf die Möglichkeit gestoßen bin, mich bei Centigrade damit zu befassen. Während meines Praktikums habe ich verschiedene Smartwatches in Verwendung genommen und passende Anwendungen entwickeln können. Schlussendlich habe ich ein vollständiges Projekt von der Idee, über die Konzeption bis hin zur prototypischen Implementierung durchlaufen.

Eine runde Sache

Von Anfang an war es nicht unsere Absicht, „nur“ eine Smartwatch-Anwendung zu entwickeln, sondern vielmehr das Potenzial von Smartwatches zu erkunden und deren Implikationen auf das UX-Design abzuleiten. Als besonders interessant zeigte sich in diesem Zusammenhang der Formfaktor verschiedener Smartwatches, weshalb wir sowohl runde als auch welche mit eckigen Displays evaluierten. Auf der einen Seite empfindet man das Design einer runden Smartwatch aufgrund der Form einer traditionellen Uhr als „normal“, auf der anderen Seite ist dieser Formfaktor für ein Display jedoch sehr unüblich. Aus Interesse an diesem Novum haben wir uns letztlich für eine runde Smartwatch entschieden, mit dem Ziel, die Interaktion für den unkonventionellen Bildschirm zu optimieren.smartwatch-interaction

Keine Hände, keine Benachrichtigung?

Während dem ersten Brainstorming über die Einsatzmöglichkeiten zeigte sich schnell eine Besonderheit einer Smartwatch: die Möglichkeit Notifications zu erhalten, ohne dafür mit den Händen interagieren zu müssen. Lediglich das Anheben des Armes ist notwendig, um eine Benachrichtigung zu lesen und entscheiden zu können, welche Relevanz diese hat und ob es einer Reaktion bedarf. Diese „handsfree“ Interaktion hat einen großen Vorteil im Vergleich zu einem Smartphone, welches man zunächst aus der Tasche greifen muss und dafür eine freie Hand braucht. Wir erkannten, dass dies im industriellen Kontext einen großen Mehrwert für Arbeiter haben kann, die in manchen Situationen eben keine freie Hand zur Verfügung haben, aber dennoch über situationsbedingte Veränderung auf dem Laufenden gehalten werden wollen. Dies trifft zum Beispiel in vollem Umfang auf einen Techniker bzw. Überwacher mehrerer Maschinen zu, der mit Werkzeugkoffer oder Laptop in den Händen in Produktionshallen zwischen den Maschinen pendelt und Störungen behebt.

Watch out! Die Projektidee folgt…

Eine entscheidende Rolle während der Ideenfindung nahm unser Partnerunternehmen ITQ ein. Dieser konnte vor einiger Zeit mit MI5 ein eigenes Studentenprojekt verwirklichen, welches interessante Anknüpfungspunkte für unser eigenes Vorhaben aufweist. Vereinfacht dargestellt ist MI5 eine Maschine, die Cocktails produzieren kann und gemäß Industrie 4.0 aus mehreren intelligenten Modulen besteht, die miteinander kommunizieren. Dort wollten wir nun ansetzen und Störungen bzw. Warnungen der MI5-Maschine als Push-Notification über die Cloud auf unsere Smartwatch bringen. Weiterhin sollte es aber möglich sein, auf so ein Ereignis zu reagieren und direkten Einfluss auf die Produktion der Maschine zu nehmen.

Wer möchte schon einen schlechten Cocktail bekommen?

Als nächstes galt, diese noch etwas ungenaue Idee in einem konkreten Use Case zu spezifizieren. Die trivial klingende Frage „Wer möchte schon einen schlechten Cocktail bekommen?“ half uns, diese Aufgabe zu lösen. Natürlich möchte niemand einen schlechten Cocktail bekommen und genau dazu sollte der Einsatz der Anwendung beitragen. Dementsprechend bildete unser Schlüsselszenario den Fall einer negativ ausfallenden Geschmacksprobe eines Cocktails ab. Hierbei sollte der Instandhalter der Maschine durch eine Notification auf seiner Smartwatch darüber informiert werden und die Möglichkeit haben, die Zusammensetzung des Cocktails direkt zu ändern.pushnotification-smartwatch-industry

Cloud-gesteuerte Geschmacksverbesserung

Als Grundlage entwickelten wir deshalb zunächst eine Anwendung zur Qualitätssicherung um Cocktails hinsichtlich ihres Geschmacks zu bewerten. Das Ergebnis dieser Beurteilung wird zum Cloud-Server der MI5-Maschine übertragen. Im Falle einer schlechten Bewertung wird die Benachrichtigung von dort automatisiert an die Smartwatch weitergeleitet. Umgesetzt wurde diese Anwendung als Smartphone-App, mittels derer man den Barcode eines hergestellten Cocktails scannen kann. Nach dieser eindeutigen Identifizierung kann dann eine Bewertung für den Cocktail abgegeben werden.cloud-scanner-barcode

Das Herzstück des Szenarios bestand aber natürlich aus der Smartwatch-Anwendung. Mit dem Vorhaben im Hinterkopf, das runde Design der Uhr hinsichtlich der Interaktion voll auszunutzen, sammelten wir am Whiteboard zunächst kollaborativ Ideen. Das Ergebnis: eine eigene kreisförmige Interaktionsgeste und eine zugehörige UI-Control, mit der man Parameterwerte akkurat einstellen kann. In unserem Anwendungsszenario sollten diese Parameter die Mischverhältnisse der Cocktailzutaten sein.

Unter Verwendung dieser UI-Control in der Smartwatch-App kann man nun das Mischverhältnis eines schlecht bewerteten Cocktails remote über die Uhr abändern. Dadurch ist es möglich, ohne in unmittelbarer Nähe der Maschine sein zu müssen, auf ein solches Ereignis ohne Verzögerung zu reagieren. Die App lässt sich aus einer Notification heraus öffnen und zeigt anschließend die Zusammensetzung des zugehörigen Cocktails an. Im folgenden Video wird die Interaktion mit der Smartwatch veranschaulicht.

Vorsicht: Maschine läuft

Der erste Einsatz und damit die erste Probe der Smartwatch-Anwendung war im Juli 2015 auf dem von ITQ veranstalteten Kompetenztag in München. Dort durfte ich auch die Projektpartner auf der Seite von ITQ erstmals nach längerer Zusammenarbeit persönlich kennenlernen. Trotz vorheriger Nervosität funktionierte das Zusammenspiel zwischen Uhr und Maschine super und die Demonstration erhielt sehr gute Rückmeldungen. Das motivierte uns natürlich weiterzumachen: Über mehrere Iterationen hinweg optimierten wir die UI-Control ohne jedoch dabei auf ihre Simplicity zu verzichten. Unter allen Umständen wollten wir verhindern, das kleine Gerät zu überladen und damit seinen sinnvollen Einsatz zu behindern.

Upgrade: Remote die Produktion starten

Showtime war dann auf der SPS IPC Drives im November letzten Jahres in Nürnberg. Dort waren sowohl Centigrade als auch ITQ als Aussteller mit eigenen Ständen vertreten. Für diesen besonderen Anlass ließen wir uns noch etwas einfallen: Wir wollten den Besucher vollständig das Szenario rund um MI5 und die WatchOut erleben lassen. Wir entwickelten eine separate Webschnittstelle, mit der man über die Cloud die Produktion eines Cocktails auf der MI5-Maschine auslösen konnte. Somit sollte sogar ein Besucher an unserem Stand mit seinem eigenen Smartphone durch Scannen eines QR-Codes einen Cocktail bestellen und diesen anschließend am Stand von ITQ abholen können. Damit der Besucher seinen eigenen Auftrag einsehen konnte, entwickelten wir zusätzlich eine Anwendung, die alle offenen Bestellungen samt zugehöriger Fertigstellungszeit anzeigte.qr-code-cocktail

„Am Ende ist doch noch alles gut gegangen.“ – damit lässt sich die letzte Woche vor der Messe ziemlich gut beschreiben. Der interne Probelauf genau 7 Tage vor der Messe verlief nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Kurzfristig gemachte Änderungen hatten zu einigen Problemen geführt. Die Partner von ITQ und wir haben aber zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Mit weiterer Zeitinvestition konnten wir alles zum Laufen bringen und somit auch mit einem guten Gefühl die Fahrt nach Nürnberg antreten.

Smartwatches: wie für die Industrie 4.0 gemacht

Wie schon auf dem ITQ Kompetenztag war das Projekt auch auf der SPS ein voller Erfolg und konnte selbst kritische Besucher durch die Natürlichkeit und Einfachheit der Interaktion mit der Uhr überzeugen. Auch ich persönlich bin mit dem Projektverlauf und dem Ergebnis sehr zufrieden und empfinde die Usability der Smartwatch-Anwendung als sehr gut.

Die Vorteile einer Anwendung wie WatchOut im Industrie 4.0 Kontext sind klar: Nutzer können ortsunabhängig und blitzschnell auf Notstände in der Produktion reagieren. Mehr noch: Sie haben dazu prinzipiell beide Hände frei und müssen nicht erst das Smartphone in ihrer Tasche suchen.

Mehr zu Smartwatches lesen

 

Möchten Sie mehr zu unseren Leistungen, Produkten oder zu unserem UX-Prozess erfahren?
Wir sind gespannt auf Ihre Anfrage.

Senior UX Manager
+49 681 959 3110

Bitte bestätigen Sie vor dem Versand Ihrer Anfrage über die obige Checkbox, dass wir Sie kontaktieren dürfen.