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Wie spielerisch hätten Sie es denn gerne? Motivation und Mehrwerte durch Gamification und Serious Games

Jörg Niesenhaus
30. Mai 2017

In der letzten Zeit wurde ich häufiger gefragt, wann Gamification sich von seiner Rolle als Nischenthema emanzipieren wird und in den Mainstream gelangt. Seit Mitte 2016 bin ich mir sicher, dass wir uns gerade inmitten dieser Emanzipation des Themas befinden und ich will auch gerne verraten, warum ich dieser Auffassung bin.

Im letzten Jahr war Gamification im deutschsprachigen Raum ein medial sehr präsentes Thema: Viele TV-Dokumentationen, Zeitungsberichte und Fachartikel berichteten über die Potenziale des Einsatzes spielerisch, motivationaler Elemente in nicht spielerischen Kontexten. Doch nicht nur das Medienecho fiel durchweg positiv aus – auch bei Centigrade erreichten uns zahlreiche Anfragen für Gamification-Projekte von denen wiederum wieder einige Projekte in die Umsetzung gingen und sich nun z.T. in der täglichen Anwendung befinden.

Doch eine zentrale Frage bewegt viele unserer Kunden: Wie viel Spiel ist dem entsprechenden Nutzungskontext und den Bedürfnissen der eigenen Mitarbeiter oder Kunden angemessen? Die Frage ist insofern wichtig, als dass sich spielerisch, motivationale Elemente in ganz unterschiedlichem Maße in Prozesse und Produkte integrieren lassen. Eine weitere Frage, die sich unsere Kunden in diesem Zuge häufig stellen, ist auch die nach der passenden Manifestierung des Spielerischen: Reichen ein paar Spielelemente oder sollte es vielleicht doch ein vollständiges Spiel sein, um die angestrebten Mehrwerte zu erzielen?

Gamification vs Serious Games

Gamification vs. Serious Games: Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es einige bedeutsame Unterschiede in dem Einsatz spielerischer Elemente

Aufgrund dieser Fragestellung werde ich mich in diesem Artikel der Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Gamification und Serious Games widmen, um ein besseres Verständnis von den Potenzialen und Einsatzmöglichkeiten beider Ansätze zu vermitteln und die Entscheidung für oder gegen einen der Ansätze zu erleichtern.

6 Millionen Jahre Spielzeit – über die Macht des spielerischen

Gemeinsam ist beiden Ansätzen das Ziel, mit Hilfe spielerischer Elemente und Methoden bestimmte Mehrwerte zu erreichen, die über den reinen Unterhaltungszweck des Spielens hinausgehen. Die Grundidee zu dieser Verbindung beruht auf mehreren Faktoren:

Spiele sind ein erfolgreiches und mächtiges Medium und haben längst einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft erobert – ob es Massenphänomene wie der Erfolg des Brettspiels „Die Siedler von Catan“ sind oder der Hype um das Mobile Game „Pokémon GO“; Spiele begeistern auf analogem oder digitalem Wege Millionen, wurden in Deutschland als Kulturgut anerkannt und sind auf den unterschiedlichsten Endgeräten allgegenwärtig geworden. Sie werden auch längst nicht mehr nur von Kindern genutzt: Der durchschnittliche Spieler in den USA ist 35 Jahre alt. Spieler verbringen viel Zeit in virtuellen Welten: Allein im Spiel „World of Warcraft“ beträgt die akkumulierte Spielzeit aller Nutzer über 6 Millionen Jahre. Auch wirtschaftlich gewinnen Spiele immer mehr Bedeutung: Spielehits wie „Clash Royale“ oder „Candy Crush Saga“ erzielen Gewinne in Millionenhöhe – und zwar pro Tag.

Diese Beispiele zeigen deutlich die Entwicklung, die Spiele in den letzten Jahren genommen haben und das Potenzial, welches sie bergen: Sie begeistern Jung und Alt durch ihre fantasievolle Gestaltung, geben uns zeitnahes und klares Feedback, motivieren uns mit ständig neuen Herausforderungen und lassen uns gemeinsam mit anderen Spielern weltweit verteilt Abenteuer meistern. Gerade die sozialen Aktivitäten in Spielen erfreuen sich großer Beliebtheit: Spiele mit einem Mehrspielermodus, also der Möglichkeit mit oder gegen andere Spieler zu spielen, sind regelmäßig an der Spitze der Verkaufs- und Umsatzcharts zu finden.

Führt man sich diese Erfolge vor Augen, ist es naheliegend, dass sich Forscher und Entwickler bereits seit Jahren der Fragestellung widmen, wie man ganz gezielt die Begeisterung für Spiele und die daraus entstehende Motivation auch in anderen Bereichen nutzen kann.

Bevor wir uns jedoch den jeweiligen Anwendungsfeldern und Mehrwerten widmen, wollen wir zunächst der Frage nach den Unterschieden von Gamification und Serious Games nachgehen.

Unterschiede zwischen Gamification und Serious Games

Nun haben wir bereits festgestellt, dass Gamification und Serious Games gemeinsame Wurzeln besitzen, aber es steht noch die Frage im Raum, wie sich die beiden Ansätze unterscheiden. Schauen wir uns also zwei Definitionen an, um eine erste Idee für die Unterschiede zu erhalten:

Serious Games sind Spiele, die neben dem reinen Unterhaltungszweck einen weiteren Mehrwert anstreben (Djaouti et al., 2015).

Gamification hingegen beschreibt den Einsatz von Spielelementen in einem spielfremden Kontext (Deterding et al., 2011).

Der offensichtlichste Unterschied ist auch gleichzeitig das wichtigste Unterscheidungsmerkmal: Serious Games sind vollständige Spiele. Wenn wir ein Serious Game nutzen, sind wir uns bewusst, ein Spiel zu spielen. Damit einher geht allerdings auch eine bestimmte Erwartungshaltung auf Seiten des Nutzers: Das Spiel muss sich auch mit anderen (kommerziellen) Spielen hinsichtlich technischer Qualität und Unterhaltungswert messen. Dadurch sind Serious Games meist ein teures Unterfangen, da ein vollständiges Spiel entwickelt werden muss, welches anderen Spielen auch auf Augenhöhe begegnen kann.

new competition

fold.it ist ein Beispiel für ein Serious Game aus dem medizinischen Bereich. Quelle: fold.it

­Ein Beispiel für ein von Centigrade entwickeltes Serious Game ist ein Quiz-Spiel über Prozesswissen zur Bedienung einer Maschine: Das Spiel bringt mir bei, wie ich mich in bestimmten Situationen verhalten muss, um die Maschinen fehlerfrei und zielgerichtet zu bedienen. [Office5] Serious Games finden in ganz unterschiedlichen Bereichen Verwendung: Das Puzzlespiel „fold.it“ ermöglicht Spielern das Falten komplexer Enzymketten, um neue Impulse für beispielsweise die Entwicklung von Medikamenten für HIV-Patienten zu erhalten. Das Actionspiel „Re-Mission“ motiviert krebskranke Kinder dazu, ihre Behandlung besser anzunehmen und erhöht damit die Chance auf eine Heilung ihrer schweren Erkrankung. Aber auch Firmen wie SAP nutzen Serious Games: In „SAP Roadwarrior“ durchläuft das Sales Personal von SAP verschiedene, simulierte Szenarien mit fiktiven Kunden, um diesen mobile Technologien nahezubringen. Die Beispiele zeigen, dass Serious Games den Spielern die Möglichkeit bieten, in andere Rollen schlüpfen, um neue Perspektiven einzunehmen; Prozesse zu simulieren, Empathie zu erzeugen oder sich Wissen anzueignen.

Mit Gamification wird ein anderer Ansatz verfolgt: Im Gegensatz zu einem vollständigen Spiel werden hier nur einzelne Spielelemente wie z.B. Spielregeln, visuelle Gestaltungselemente oder Konzepte in eine spielfremde Umgebung eingepflanzt. Aus diesem Grund spricht man auch von „gamifizierten“ Anwendungen – nicht von vollständigen Spielen. Beispiele hierfür wären der Einsatz von Steuerungskonzepten aus Strategiespielen in der industriellen Fertigung oder die Einführung eines Team Scorings in eine Produktionsumgebung  – beides Projekte aus der eigenen Entwicklung bei Centigrade. Weitere erfolgreiche Gamification-Anwendungen sind das SAP Community Network, welches hilfsbereite und aktive Nutzer mit Punkten, Rängen und Auszeichnungen belohnt, oder das Verkaufssystem Sell & Pick, welches in der Gastronomie gezielt Quests vergibt, um den Absatz bestimmter Artikel durch das Verkaufspersonal zu fördern. Meist sind es nur wenige Spielelemente, die hier zum Einsatz kommen: Spielerische Aufgabenvergabe, Fortschrittsanzeigen und ansprechende Visualisierungen geben Feedback, schaffen Anreize und Informationstransparenz und motivieren dadurch in vielen Schritten die Nutzer in ihren alltäglichen Handlungen.

SEW Batching

Bereits der Einsatz weniger, gezielt eingesetzter Spielelemente, wie hier in einem von Centigrade gestalteten User Interface für die Firma SEW-Eurodrive, kann einen großen Motivationsschub seitens der Nutzer generieren.

Gamification bleibt daher in ein paar Fällen auch unentdeckt: Nutzer müssen die Spielelemente nicht zwangsläufig als solche identifizieren, damit sie mehr Freude oder Motivation erleben. Gamification-Elemente wirken häufig subtil und es ist nicht zwingend notwendig, dass Nutzer diese Elemente als „spielerisch“ erleben.

Auch ist es wichtig zu erwähnen, dass sich nicht jeder Nutzer gleichermaßen durch ein Spiel oder Spielelement angesprochen fühlt, da jeder Mensch eigene Spielbedürfnisse und Präferenzen an Spiele und Spielmechaniken mitbringt (hierzu empfehle ich die Lektüre des Blogartikels meines Kollegen Sebastian Korbas zum Thema „Player Types“).

Ein wichtiger Unterschied zwischen Gamification und Serious Games ist der Aufwand in der Umsetzung: Gamification ist durch den gezielten Einsatz einzelner Spielelemente auch deutlich weniger aufwändig in der Konzeption und Implementierung und damit in den meisten Fällen günstiger als die Entwicklung eines vollständigen Serious Game, da zum Teil mit nur wenigen Anpassungen ein Prozess erfolgreich gamifiziert werden kann.

Einstieg in die gamifizierte Welt

Abhängig vom Nutzungskontext und den Zielen einer Prozess- oder Produktoptimierung können ganz unterschiedliche, spielerische Methoden zum Einsatz kommen: Das Spektrum möglicher Ansätze reicht von der mit wenigen Tagen Aufwand verbundenen Anreicherung bestehender Prozesse durch Gamification-Elemente bis hin zum umfangreichen und kostenaufwändigen Serious Game.

Umso wichtiger ist es, sich vor dem Einsatz von spielerischen Elementen in den eigenen Prozessen, Dienstleistungen oder Produkten mit folgenden Fragen eingehend zu beschäftigen: Wer sind meine Nutzer? Welche Mehrwerte möchte ich in welchem Anwendungsbereich erreichen? Wie kann ich diese Mehrwerte messbar machen, um zu prüfen, ob ich mein Ziel erreicht habe?

Bei der Beantwortung dieser Fragen hilft ein konsequent nutzerzentrierter Designprozess. Hierbei werden ein Business Ziel formuliert, Personas modelliert und die Schlüsselszenarien für die spätere Anwendung formuliert, welche in implementierbare Einheiten münden. Dieser Prozess bildet für uns die Basis für eine nutzerzentrierte und erfolgreiche Software-Entwicklung, denn wir sind der Überzeugung, dass Standardlösungen im Gamification-Umfeld sich nur unzureichend an die jeweiligen Nutzer- und Kundenbedürfnisse anpassen lassen. Deshalb produzieren wir keine „Gamification von der Stange“, sondern kreieren und testen maßgeschneiderte Gamification-Lösungen für konkrete Businessprobleme, die sich nahtlos in den jeweiligen Anwendungskontext einfügen.

Falls Sie Interesse an unseren Leistungen haben, können Sie sich hier einen detaillierten Überblick verschaffen und uns gerne zu einem unverbindlichen Gespräch kontaktieren.

Mehr zum Thema Gamification:

Quellen:

Deterding, S., Dixon, D., Khaled, R., & Nacke, L. (2011, September). From game design elements to gamefulness: defining gamification. In Proceedings of the 15th international academic MindTrek conference: Envisioning future media environments (pp. 9-15). ACM.

Djaouti, D., Alvarez, J., & Jessel, J. P. (2011). Classifying serious games: the G/P/S model. Handbook of research on improving learning and motivation through educational games: Multidisciplinary approaches, 2, 118-136.

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