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UX Designer werden in zwei Wochen – Das Tagebuch eines UX-Einsteigers

Joshua Lambeck
Joshua Lambeck
17. März 2021

Corona Warn App Redesign Keyvisual

Hallo, mein Name ist Joshua und ich habe mich gefragt, wie ich in zwei Wochen zum UX Designer werden und das Thema so gut durchdringen kann, dass ich ein real bestehendes Problem lösen kann. Dieser Blogbeitrag ist ein kleines Logbuch auf meiner Reise durch die Welt des UX Designs.

Um erst einmal die Basics zu verstehen, was User Experience ist und wie ein UX Projekt richtig gestartet werden kann, habe ich damit begonnen, viele Blogbeiträge zu lesen. Was ist überhaupt gute und schlechte UX? Wie kann das im Alltag aussehen? Was ist Project Scoping? Wie starte ich ein gutes Projekt? Und es hat sich beim Lesen immer mehr herauskristallisiert, dass es wichtig ist, mit dem „Warum“ zu starten, bevor ein konkretes Projekt oder eine Lösung festgemacht wird.

 

Warum es besser ist, bei UX Projekten mit dem „Warum“ zu starten

Bevor viel Zeit und Mühe in ein Projekt investiert wird, nur um es später ärgerlich zu verwerfen, weil es den Vorstellungen nicht entspricht oder gar die Zielsetzung nicht klar definiert ist, ist es wichtig, sich erst einmal klar zu machen, was das grundsätzliche Ziel ist. Dem Warum. Warum mache ich das, was ich tue? Warum habe ich das Bedürfnis etwas zu ändern? Eine anfängliche Zielsetzung, an der man sich orientieren und am Ende auch realistisch messen kann, ob das Projekt erfolgreich war oder das Ziel verfehlt wurde.

Also stellte ich mir folgende Fragen:

  • Was könnte ein gutes Ziel sein?
  • Wo sehe ich Probleme in meinem Alltag, die mich stören, wo ich Veränderung möchte oder die mich zum Handeln anregen?
  • Wie kann ich den Alltag in der derzeitigen Corona-Situation optimieren?

 

Die Corona Warn-App

Bei diesen Fragen musste ich an die Corona-Warn-App denken. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich sie nicht einmal installiert habe. Ist das normal? Nach ein paar Gesprächen hat sich herausgestellt, dass nur drei von zehn befragten Freunden die App hatten. Wie kann eine App, die in der Entwicklung 69 Millionen Euro gekostet hat, von der Bundesregierung gefördert wurde, von SAP als Open-Source-Projekt umgesetzt wurde und für die überall Werbung gemacht wird, so wenig Anklang in meiner Generation findet? Nach erweitertem Nachfragen konnte ich heraushören, dass die meisten einfach nicht den Mehrwert der App gesehen haben. Die klassische Frage bei App-Empfehlungen „Wofür brauche ich denn jetzt die App?“ wurde nicht überzeugend für Nicht-RisikopatientInnen gelöst.

Wie könnte eine Corona-App aussehen, die für Digital Natives (bei denen, im Vergleich zur Risikogruppe, jede/r ein Smartphone besitzt um sich eine App herunterzuladen) attraktiv ist?

Mithilfe von LeanScope, einem von Centigrade entwickelten Programm zur Analyse von sogenannten „User Needs“, konnte die Analyse starten. Das Programm ist in die einzelnen Abschnitte des UX-Prozesses unterteilt und bietet vielseitige und trotzdem übersichtliche Möglichkeiten bspw. die Persona oder die Zielgruppe und deren Bedürfnisse genau herauszuarbeiten. Um sich besser in die Zielgruppe der Digital Natives und deren Probleme hineinzuversetzen, bietet Leanscope an, eine repräsentative Person für die Zielgruppe zu entwickeln.

Eine Persona – so entstand Micha.

 

Persona Micha

Die Erstellung meiner ersten Persona und Ableitung von User Needs

Micha ist 24 Jahre alt, ledig und studiert. In Leanscope kann notiert werden, was die Persona motiviert und frustriert, dadurch fällt es mir leicht, problemorientiert zu denken. Michas Motivation ist z. B. Freunde zu treffen, schnell an Informationen zu kommen und das Leben zu genießen. Es frustrieren ihn Dinge, die viel unnötige Zeit kosten, wie z. B. nerviges Ausfüllen von Formularen.

Ein passendes Zitat unserer Persona ist: “Ich möchte entspannt, uneingeschränkt und schnell Dinge tun.“

Mithilfe der Persona entstand ein typisches Szenario einer Frustrationserfahrung: Es ist Freitag, Micha hat morgen keine Vorlesung und freut sich schon auf einen entspannten Abend mit den Freunden. Er ruft seinen Kumpel Simon an und fragt, ob er heute Abend Zeit hat, etwas zu unternehmen. Natürlich ist Simon dabei. „Heute Abend wieder Shishabar?“ – „Jo… aber warte, wie ist das mit den neuen Coronaregeln, gab es irgendeine Änderung?“ Genervt sagt Micha: „Bis ich jetzt die aktuellen Regeln für meine Region gefunden habe, bin ich ja Stunden beschäftigt. Außerdem versteht man nie, was die schreiben.“ Dank der neuen Verordnung wissen Simon und Micha, dass der Lockdown nun endlich aufgehoben wurde. Nun können sie los. Endlich angekommen, setzen sich beide mit Maske hin und warten auf die Bedienung. „Einmal bitte Kontaktdaten ausfüllen“ sagt die Bedienung, während sie Zettel und Stifte auf den Tisch legt. Genervt füllen beide die Zettel aus, die sie schon beim letzten Barbesuch ausgefüllt haben.

Persona Micha Szenario

Dank dieses Szenarios ist es nun einfach, die „User Needs“ zu analysieren:

 

Bedürfnis nach Aktualität
> Micha und Simon wollen informiert werden, wenn sich etwas an ihrem gewohnten Alltag ändern könnte. Hier durch die Coronaregeln.

 

Bedürfnis nach Individualität
> Micha will schnell die auf sich zugeschnittenen regionalen Regeln kennen.

 

Bedürfnis nach Verständlichkeit
> Micha möchte gesetzliche Texte, die für ihn wichtig sind, einfach erklärt haben um sie zu verstehen.

 

Bedürfnis nach Einfachheit
> Micha und Simon wollen nicht bei jedem Besuch umständlich Formulare ausfüllen.

 

Wichtig ist, bis zu diesem Punkt problemorientiert zu denken und die User Needs so konkret wie möglich herauszuarbeiten. Da diese jetzt klar sind, kann ich anfangen, in Lösungen zu denken.

 

Aus den Problemen die Lösung entwickeln

Für die oben genannten Bedürfnissen habe ich jeweils drei Lösungen im Kosmos der Corona-Warn-App entwickelt. Der Kreativprozess ist dabei vollkommen frei. Ich kann ihn so ausführen, wie ich am liebsten arbeite. Ob ich dabei bspw. scribble oder in Stichpunkten schreibe, ist komplett egal. Hauptsache meine Ideen kommen so schnell wie möglich und verständlich zu Papier.

Skribble Entwurf

So habe ich mir überlegt, dass eine Funktion, die die regionalen Corona-Regelungen verständlich und zusammengefasst in der App anzeigt und die BenutzerInnen informiert, falls diese sich ändern, dem Bedürfnis nach Aktualität, Individualität und Verständlichkeit super entgegenkommt. Zusätzlich käme ein Feature zur datensicheren Registrierung in Bars oder Restaurants per QR-Code und NFC hinzu. Das erspart das ständige Ausfüllen von Formularen.

Wireframe Mockup

Wireframing ist ein Prozess zum Entwurf von Software-Screens. Mit Wireframes kann ich die entstandenen Funktionen in einem App-Prototypen darstellen, ohne mir Gedanken machen zu müssen, wie das visuelle Design später aussieht. Das kann analog mit Stift und Papier oder per Software geschehen. Ich habe das Ganze mit Adobe XD gemacht.

Das Prototypenbauen hilft dabei, Fehler in der Handhabung und im Bedienprozess frühzeitig zu erkennen.

Mockup Lokale Verordnungen

Als der Prototyp fehlerfrei lief und ich zufrieden mit den Funktionen war, kam nun letztendlich das visuelle Design. Die derzeitige Corona-Warn-App ist sehr dunkel gehalten und vermittelt kein besonders warmes Gefühl inmitten der derzeitigen Coronakrise. Dem wollte ich entgegenwirken und den NutzerInnen eine freundlichere, buntere UI bauen. Die Illustrationen helfen, neben der Ästhetik, die App schneller zu verstehen.

Screens Mockup

 

Fazit

Nach zwei Wochen Praktikum im Bereich UX Design kann ich nun ein Fazit ziehen. Es hat wirklich Spaß gemacht, das Thema UX Design durch ein praktisches Projekt kennenzulernen und mich zu vertiefen. Ich hätte vorher nie gedacht, dass vergleichsweise viel Zeit in Analyse und Konzeption fließt, aber es hat sich am Ende spürbar gelohnt. Da klar war, wohin das Projekt gehen soll und die Anforderungen genau definiert waren, ging es im Prototypen und Design deutlich schneller voran als ohne Konzeption. Das war ein Projekt, das in zwei Wochen von mir, einem blutigem UX-Einsteiger, realisiert wurde. Und hier liegt auch vielleicht die Kritik an der Entwicklung vieler Produkte wie der Corona-Warn-App. Sie sind von der Grundidee an sich super, ABER es wird viel zu wenig auf die Bedürfnisse der Zielgruppe geachtet und zu viel darauf gesetzt, dass jede/r die gleichen Bedürfnisse oder Denkweisen wie deren EntwicklerInnen haben. Wäre SAP auf die Idee gekommen, zu schauen, was der „Smartphone-Generation“ wichtig ist, würde die App wahrscheinlich mehr Anklang finden und deutlich mehr jüngere NutzerInnen haben. Ein wenig mehr Zeit in UX hätte auch hier nicht geschadet.

 

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