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Interkulturelle Kompetenz – Wie man internationaler Designer wird

Chloe Chan
29. Juli 2016

Ich erinnere mich immer noch an den Moment, als ich vom Himmel auf Frankfurt blickte. Ich war angespannt und aufgeregt. Im Juni 2015 zog ich aus meiner Heimatstadt Hongkong in das Land von Bier, Wurst und fürchterlich kalten Wintern: Deutschland. Tatsächlich eine ziemlich anstrengende Umstellung, da ich nie zuvor nach Europa gereist war. Und jetzt lebte und arbeitetete ich dort plötzlich als UX Designerin.

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International sein – Nicht nur eine Frage der Geografie

Nachdem ich den Kulturschock hinter mir hatte, merkte ich, dass es nicht nur eine Frage der Geografie ist, ein internationaler Designer zu sein. Man wird nicht schon dadurch international, dass man in ein anderes Land reist und dort lebt. Wenn man sich nur engstirnig auf das Verhalten und die Gedanken konzentriert, mit denen man sich nicht identifizieren kann, aber die kulturellen Einflüsse dahinter nicht sieht, bleibt man in seiner „fremden“ Perspektive verhaftet.

Kulturelles Bewusstsein und interkulturelle Kompetenz sind entscheidend für alle, die in mehreren Kulturen arbeiten. Laut Stephanie Quappe, internationale Unternehmerin, ist interkulturelle Kompetenz „die Fähigkeit, Unterschiede zwischen sich und Menschen aus anderen Kulturen zu verstehen, besonders Wert-, Glaubens und Wahrnehmungsunterschiede.

Interkulturelle Kompetenz rückt in den Mittelpunkt, wenn wir mit Menschen aus anderen Kulturen interagieren. Menschen sehen, interpretieren und prüfen Dinge unterschiedlich. Was in einer Kultur angemessen ist, wirkt in einer anderen oft unangebracht.“ In China und Japan gehört es zu guten Tischmanieren, den Teller oder die Schale vom Tisch in die Hand zu nehmen, während man in, sagen wir, Deutschland dafür die merkwürdigsten Blicke erntet. Stephanie Quappe: „Missverständnisse entstehen durch den Versuch, mit der eigenen Weltsicht die Realität anderer zu verstehen.

Der australische Koch Ben Shewry isst Ramen in der New Yorker Momofuku Noodle Bar (Foto: Matt Duckor)

Ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz ermöglicht uns bessere persönliche und geschäftliche Beziehungen in einer vielfältigen multikulturellen Umgebung, aber auch, unseren eigenen Horizont zu erweitern und inspiriert zu werden.

Kultur beeinflusst die Kommunikation – Wir müssen lernen, die Kommunikation von Menschen aus anderen Kulturen zu entschlüsseln

Das Wissen über kulturelle Eigenarten der Kommunikation ist wichtig, um diese entschlüsseln zu können. Das ist für UX besonders bei User Research, der Anwenderbeobachtung, entscheidend. Fehlendes Bewusstsein für kulturelle Verschiedenheiten kann zu Trugschlüssen führen.

“Seine Meinung sagen” (Die blaue Seite zeigt Deutschland, die rote China), Yang Liu, “Ost trifft West”

Laut der Asia-Pacific Global Research Group ist der Westen eine eher kontext-arme Umgebung, in der mehr Wert auf die eigentliche Kommunikation gelegt wird. Hier ist Klarheit wichtig – knappe und direkte Kommunikation. Der Osten ist eine eher kontext-betonte Umgebung, der Kontext der Kommunikation ist wichtiger. Sie kann dadurch indirekter und für westliche Teilnehmer komplex und schwer verständlich sein.

Die Ausdrucksweise der Deutschen ist eher laut und direkt, die von Asiaten eher leise und indirekt, da Direktheit unhöflich wirken kann. Ohne interkulturelle Kompetenz könnte man vermuten, dass Deutsche grob und kalt sind, Asiaten zögerlich und unbestimmt. Deshalb ist es wichtig, sein Bewusstsein für die eigene und für andere Kulturen zu schärfen, um effizient mit anderen interagieren zu können.

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In manchen Staaten Asiens, wie zum Beispiel. Japan, gestalten Benutzer sich eine harmonische Online-Umgebung, indem sie andere visuelle Elemente als in Europa verwenden. Sticker zum Beispiel sind größere, individuellere Emojis, die vor allem in Messenger Apps verwendet werden, weil sie helfen, Emotionen anschaulicher auszudrücken als ein Textblock. Jedoch sind die niedlichen Sticker im Westen weniger verbreitet als einfache Text-Emoticons. Einmal scheiterte die Kommunikation mit einem Kollegen, weil ich ihm „:>“ und „T^T“ schrieb. Seine Antwort: „???”.

Kultur beeinflusst das Denken – Wir denken unterschiedlich

Vielfalt treibt durch den Austausch von Perspektiven und Ideen den Fortschritt voran. „Eine vielfältige Gruppe von Menschen aus verschiedenen Kulturen hat nicht nur unterschiedliche Weltanschauungen, sondern auch unterschiedliche Wahrnehmungen und Diskurse“, sagt Dr. Richard Nisbett vom Institut für Soziale Forschung der University of Michigan. Er und seine Kollegen haben entdeckt, dass Menschen, die in unterschiedlichen Kulturen groß geworden sind, nicht nur über unterschiedliche Dinge nachdenken, sondern generell unterschiedlich denken.

Ein Ergebnis ihrer Studien, die US-Amerikaner europäischer Herkunft mit Ostasiaten vergleicht, ähnelt sehr den Erkenntnissen der Asian-Pacific Research Group. Sie entdeckten, dass Ostasiaten zum ganzheitlichen Denken neigen und mehr auf Kontext und die Beziehungen zwischen Dingen achten. Westliche Probanden denken analytischer, beachten einzelne Objekte stärker und verlassen sich eher auf förmliche Logik.

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Westliche und ostasiatische Probanden beschreiben diese Szene unterschiedlich.

In einem Experiment bekamen Japaner und Amerikaner die gleichen animierten Unterwasser-Szenen gezeigt und beschrieben, was sie gesehen hatten. Japaner beschrieben rund 70% häufiger den Hintergrund der Szene als Amerikaner. Die erste Beschreibung der Japaner bezog sich meistens auf Hintergrund-Elemente: “Es gab einen See oder Teich”, während Amerikaner eher sagten “Rechts schwamm etwas, das wie eine Forelle aussah.” Japaner beschrieben auch doppelt so oft die Beziehungen zu unbelebten Gegenständen, zum Beispiel, dass ein großer Fisch an grauem Seetang vorbeischwamm.

Je mehr man sich des Einflusses der Kultur auf Denken und Urteile bewusst ist, desto eher kann man die Dinge neu sehen. Wer sich für gewöhnlich auf einzelne Menschen und Objekte konzentriert, kann nun vermehrt auf Beziehungen und Interaktionen achten. Bei einer Benutzerbeobachtung kann man zum Beispiel bedenken, dass das Verhalten der Benutzer nicht nur von ihrer Persönlichkeit beeinflusst wird, sondern auch vom Kontext und der Beobachtungssituation. Wer seine Benutzer besser versteht, kann eine Lösung gestalten, die ihre Bedürfnisse erfüllt. Unterhaltungen und Diskussionen mit jemand aus einer anderen Kultur können außerdem die Kreativität kitzeln und oft eine großartige Quelle für Ideen sein.

Kultur beeinflusst das Design

Designer fragen sich hier vielleicht „Und was soll ich jetzt tun?“ Der Designprozess ist universell. Das Bewusstsein, dass wir unterschiedlich kommunizieren und handeln, ist nur der Anfang. Wichtig ist auch die Aufmerksamkeit für andere kulturelle Einflüsse, wie soziale Faktoren. Sie sind sehr wichtig, um das Verhalten der Benutzer zu interpretieren und ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu erkennen.

Ein Beispiel ist Tmall, Chinas größte B2C (Business-to-Consumer)-Plattform, die von der Alibaba Group betrieben wird. Dort können chinesische und internationale Händler Markenprodukte an Endkunden in China, Hongkong, Macau und Taiwan verkaufen. Das Layout und der Inhalt der Produktseiten deuten auf mangelndes Vertrauen der Kunden in die Händler hin. Die Produktseiten liefern so viele Details wie möglich, um den Kunden von der Echtheit der Produkte und dem guten Ruf der Händler zu überzeugen.

Diese Produktseite bietet Krabben an, natürlich mit vielen detaillierten Fotos der Krabbe. Der Live Chat links oben ist unverzichtbar für “Guanxi”, das persönliche Vertrauensverhältnis, auf dem Geschäfte in China basieren.

Bilder, die Aufzucht und Auswahl der Krabben zeigen

Verschiedene staatliche Zertifikate

Sogar Porträts der Eigentümer und Züchter.

Die Produktseite beschreibt weitere Details wie Verpackung, allgemeine Informationen über Krabben, die Zubereitung, Servieren, Aufbewahrung – alles um die Botschaft „Ich bin vertrauenswürdig, unsere Produkte authentisch und unsere Qualität hoch” zu vermitteln.

Sich der Multikultur öffnen

Schon vor meiner Ankunft in Deutschland, und genauso seitdem, überlege ich, wie ich eine wirklich internationale Designerin werden kann. Ich lerne immer noch die deutsche Kultur kennen, passe mich an und werde damit wahrscheinlich nie fertig sein. Eine andere Kultur zu erforschen, eröffnet mir eine neue Welt, eine andere Perspektive auf die Dinge. Während wir aufwuchsen, hat uns unsere Kultur geformt, ohne dass wir uns dessen bewusst waren. Wir sind kulturell geprägt, auf eine bestimmte Art zu handeln und zu denken. Wenn wir also für Benutzer aus anderen Kulturen gestalten, müssen wir alle Stereotypen fallen lassen. Stattdessen müssen wir die Grenzen unserer Kultur verlassen, genauer hinschauen und uns den Einfluss der Kultur bewusst machen – mit einer positiven Haltung, mit Neugier und mit Einfühlungsvermögen.

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