Einführung
Ein, in meinen Augen positiver Trend ist, dass Firmen immer häufiger ihre potenziellen Nutzer in die Entwicklung mit einbeziehen wollen. Dies kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise geschehen: Das Spektrum reicht von Marktforschungs-Interviews, über Datenanalyse von Websites bis hin zu verschiedenen Usability Test Methoden. Testing ist besonders wichtig, um intensivere und detailliertere Informationen zu den Probleme und vor allem den User Needs zu bekommen. Allerdings ist gerade bei Usability Tests häufig zu beobachten, dass diese erst zum Einsatz kommen, wenn Prototypen bereits stark ausgereift sind. Diese sind dann häufig schwergewichtige Usability Tests, in denen mit möglichst vielen Teilnehmern alles überprüft werden soll. Der späte Zeitpunkt der Tests führt dazu, dass daraus resultierende Anpassungen hohe Entwicklungsaufwände mit sich bringen, da der Großteil der Anwendung schon implementiert ist. Änderungen an Konzepten sind dahingegen weniger komplex. Gerade beim rein Screen basierten testen, bei dem die User-Needs außen vor gelassen werden, kann es passieren, dass die Entwicklung fast von vorne begonnen werden muss. Dabei sollte eine komplette Fehlausrichtung der Anwendung mit den richtigen User-Needs erst gar nicht vorkommen. Unternehmen werden also vor eine ganze Reihe von Herausforderungen gestellt, wenn der User in UX nicht zu kurz kommen soll.
Ich möchte in diesen Beitrag zeigen, wie wir diese Herausforderungen lösen und bereits früh im Projekt potenzielle Nutzern durch verschiedene Testmethoden mit einbeziehen und damit eine Basis für die weitere Entwicklung schaffen.
Herausforderungen beim Usability Testing
Herausforderung 1: Stichprobengröße
Viele Kunden vermuten, dass es nur durch eine größere Teilnehmerzahl und der daraus folgenden vermeintlich höheren Aussagekraft bei Usability Tests möglich ist, die Ergebnisse dem Management verkaufen zu können. Die meisten berufen sich dabei auf ihre Kenntnis der statistischen Signifikanz und dass es sehr viele Teilnehmer benötigt, um diese belegen zu können. Ein weiterer Grund, warum große Stichproben gewünscht sind, liegt in der Überzeugung, dass mehr Personen automatisch zu mehr Erkenntnissen führen. Das ist aber nicht zwangsläufig der Fall, wie ich weiter ausführen werde. Größere Stichproben führen aufgrund ihres Umfangs zu größerem Aufwand bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung des Testings. Ebenfalls bedeutet eine größere Stichprobe einen höheren Kostenfaktor, der sich unter anderem aus der Aufwandsentschädigung der Probanden sowie der gesteigerten Arbeitszeit des UX Researchers ergibt. Jakob Nielsen zeigte bereits im Jahr 2000, dass mit größeren Stichproben nicht mehr Usability Probleme aufdeckt werden, als mit kleinen.
Kleine Stichprobe, großer Impakt
In seinem Artikel „why you only need to test with 5 users“ zeigt Nielsen, dass bereits mit einer Stichprobe von 5 Personen 85% aller Usability Probleme identifizieren werden können.
Bei Usability Tests in frühen Entwicklungsphasen reichen laut Nielsen sogar 3-5 Personen aus, um Probleme in der Navigations-Struktur oder Präferenzen für einen Ablauf aufdecken zu können. Auch wenn für ein Produkt mehrere Zielgruppen definiert wurden, reicht es aus, wenn jede dieser Zielgruppe mit 3-5 Personen im Test vertreten ist. Wir versuchen ebenfalls das Testing möglichst leichtgewichtig zu halten und mit der Zielgruppe entsprechend ausgewählten Personen zu testen.
Dabei erleichtert eine kleine Stichprobe nicht nur die Akquise, sondern reduziert auch den zeitlichen Aspekt bei der Durchführung der Usability Tests auf ein Minimum. Was wiederum den Vorteil hat, dass wir deutlich öfter (zu unterschiedlichen Entwicklungsstadien) und schneller Tests mit potenziellen Nutzern durchführen können.
Herausforderung 2: Der Testumfang
Je weiter ein Produkt entwickelt ist, umso mehr Funktionen müssen getestet werden. Mehr Funktionen bedeuten aber auch eine längere Testdauer und Vorbereitung. Das kann zur Folge haben, dass die Testpersonen unkonzentrierter und damit auch die Ergebnisse verfälscht werden. Unsere Erfahrung mit Usability Tests zeigt, dass ein Test nicht viel länger als 30 Minuten dauern sollte. Eine weitere Folge von komplexen Testaufbauten ist, dass der Researcher sehr viele Ergebnisse erhält, die es alle gleichzeitig zu verarbeiten gilt. Zusätzlich wird die Umsetzung von Änderungen am Produkt aufwändiger.
Konzepttest
Um diese Probleme zu vermeiden, werden bei uns bereits in frühen Projektphasen Konzepttests durchgeführt. Dazu werden mithilfe von vorher definierte User Needs, zum Beispiel in Papierprototypen oder in mit PowerPoint, Klickdummies erstellt und die Umsetzung getestet. Dabei können wir mit wenig Aufwand schnell erkennen, ob das Konzept von den Nutzern verstanden wird und wo noch Optimierungsbedarf besteht.
Ziel eines solchen Konzepttests ist es, einen low fidelity Prototypen methodisch auf Stärken und Schwächen zu überprüfen. Dabei liegt der Fokus weniger auf der visuellen Umsetzung, sondern vor allem in der Navigation und inhaltlichen Vollständigkeit der Anwendung. Wir arbeiten dabei anhand von User Stories ein Testszenario aus, welches prüft, ob die Umsetzung der zuvor identifizierten User Needs passend ist oder es Nutzungsbarrieren gibt, die behoben werden müssen.
Aber auch, wenn es sich nicht vermeiden lässt, einen Usability Test spät im Entwicklungsprozess zum Einsatz zu bringen, besteht immer noch die Möglichkeit, verschiedene Funktionen in mehreren Konzepttests abzufragen. So lässt es sich vermeiden, dass die Probanden schnell ermüden und es lassen sich konkretere Erkenntnisse gewinnen. Die einzelnen Testabschnitte müssen dafür gut aufeinander abgestimmt sein, damit es nicht zu unnötigen Überschneidungen kommt oder Funktionen und Zusammenhänge nicht ausreichend abgedeckt werden.
User Acceptance Test
Ergänzend zum Konzepttest führen wir einen User Acceptance Test durch. Hierbei wird die Nutzerfreundlichkeit und -akzeptanz einer fertigen Anwendung durch den Nutzer getestet. Es wird überprüft, ob die Anwendung für einen Nutzer funktioniert und auch aus visueller Sicht positiv wahrgenommen wird. Es geht aber weniger um die Frage, ob eine Software (technisch) funktioniert oder die Behebung von schwerwiegenden Usability Problemen. Dies sollte zuvor schon mithilfe von Konzept- und Funktionstests geschehen sein. Beim Nutzer Akzeptanztest handelt es sich vielmehr um eine finale Überprüfung eines fertigen Produkts oder kurz vor dem Launch eines Produkts, wo das Gesamterleben des Produkts im Fokus steht. Daher werden User Acceptance Tests dementsprechend auch erst spät im Entwicklungsprozess durchgeführt.
Herausforderung 3: Das Labor
Häufig wird in Zusammenhang mit Usability Tests von Testsettings in speziell eingerichteten Laboren gesprochen. Diese Labore sind mit teurem Equipment ausgestattet und ermöglichen es, Tests unter exakt gleichen Bedingungen durchzuführen. Als Vorteil dieser Labore wird gesehen, dass Nutzertests standardisiert ablaufen und viele Störfaktoren ausgeschlossen werden können. Ist die entsprechende Technik einmal installiert, kann sicherlich auch Zeit in der Testvorbereitung gespart werden. Ein großer Nachteil solcher Labore ist der Kostenfaktor. Man benötigt einen speziell eingerichteten Raum, der nur für diesen Zweck verwendet wird, die Testnutzer müssen extra anreisen und befinden sich in einem künstlichen Testklima. Wir arbeiten deswegen bei den Anwendern vor Ort oder führen Remote Usability Tests durch. Beide Varianten bieten den Vorteil, dass der Nutzer das Konzept oder die Software in seinem realen Anwendungskontext verwenden kann. Dadurch können zum Beispiel Zusammenhänge mit externen Störfaktoren oder Problematiken in der Anwendung, die sich durch die Umgebung ergeben (z.B. Schmutz auf den Display, andere Beleuchtung, Lärm), aufgedeckt werden, die im Labor vielleicht nicht aufgetreten wären. Auch bekommen UX Researcher so einen besseren Eindruck davon, unter welchen Bedingungen der Nutzer tatsächlich die Anwendung nutzt. Bei einem Remote-Test kommt die zeitliche Flexibilität hinzu und bietet die Möglichkeit, auch weit entfernte Nutzer zu erreichen.
Herausforderung 4: Ergebnisse der Usability Test Methoden werden ignoriert
Ein weiterer Grund für ein verzerrtes Bild von Usability Test Methoden ist, dass die Ergebnisse der Tests von den Designern oder Entscheidungsträgern einfach ignoriert werden. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zu einem kann es daran liegen, dass die Kosten und der Aufwand der Umsetzung einfach zu hoch wären. Die Entscheidungsträger wollen Kostenoptimiert arbeiten und setzen deswegen die Usability Empfehlungen nicht um. Die Lösung liegt hier in den vorher beschriebenen frühen Anwendung von Konzepttests.
Ein weiterer Grund kann in der Aufbereitung der Testergebnisse liegen. Häufig werden durch diese Usability Test Methoden sehr viele Informationen generiert, die nicht alle die gleiche Relevanz für das Produkt haben. Der beste Usability Test bringt nichts, wenn man alle Informationen ungefiltert in Charts präsentiert. Selbst wenn alle beteiligten Teammitglieder die Charts deuten können, geben diese allein nur Hinweis darauf, wo eventuell Probleme existieren, aber noch nicht, wie man diese löst. Gerade bei qualitativen Ergebnissen ist es umso wichtiger, die Ergebnisse eines Usability Tests so aufzubereiten, dass man die wichtigsten/größten Pain Points aufzeigt und auch Handlungsempfehlungen gibt, wie das Produkt anhand der Ergebnisse verbessert werden kann. Sind die Ergebnisse einer Usability Test Methode für alle Teammitglieder verständlich aufbereitet, können diese auch relativ leicht die vorgeschlagenen Änderungen im Produkt vornehmen. Auch hier hilft das Arbeiten mit User Need basierten Usability Tests. Die User Needs helfen dabei nicht nur bei der Erstellung der Konzepte und dem Testing der Umsetzung, sondern auch bei der Auswertung können anhand der User Needs Handlungsempfehlungen erstellt werden, die ihren Fokus immer auf dem Nutzer haben.
Fazit
Die verschiedenen Usability Test Methoden bieten ein breites Repertoire, dass über das Testen im Labor weit hinaus geht. Es gibt passende Methoden für alle Projektphasen und Entwicklungsstufen eines Produkts. Leider werden diese häufig aus dem Vorurteil der schwergewichtigen Usability Tests von vornherein abgelehnt. Um dem Vorurteil entgegen zu wirken, arbeiten wir User Need basiert, um so möglichst leichtgewichtig tolle Produkte zu entwickeln, bei denen der Nutzer im Mittelpunkt steht. Auch bei kleineren Budgets sollten Unternehmen den Nutzer nicht aus dem Auge verlieren, da bereits mit einfachen Methoden in kürzester Zeit wichtige Erkenntnisse erlangt werden können. Auch wenn wir uns natürlich wünschen würden, dass ein Produkt von Anfang an nutzerzentriert entwickelt wird, soll das nicht heißen, dass sich Tests zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr lohnen. Durch die Vielfältigkeit der Usability Test Methoden ist es möglich, ein Produkt zu jedem Entwicklungsstand zu testen. Die Tests müssen nicht in einem teuer eingerichteten Labor stattfinden, im Gegenteil, häufig ist es deutlich sinnvoller, vor Ort zu testen. Auch remote Usability Testing ist eine gute Alternative. Dabei können Probanden bequem vom eigenen Rechner aus einen Prototyp testen.
Auch in Beta-Tests oder im laufenden Betrieb können Analysemethoden gewinnbringend zum Einsatz kommen. Zum Beispiel können wir mithilfe einer speziell auf User Stories abgestimmter Nutzungsdatenanalyse automatisch generierte Daten auswerten. Diese Daten können dann als Vorarbeit für weiteres Testing genutzt werden.
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